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01.12.2008
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
liebe Freunde
liebe Genossen,
Wir sind heute wieder — wie jeden Montag seit mehr als vier Jahren — auf der Domplatte versammelt. Heute vereint uns aber nicht nur der Protest gegen den Angriff auf unsere Lebensverhältnisse, der mit dem Wort „Hartz IV” umschrieben wird. Heute vereint uns auch das Gedenken an einen unserer Mitkämpfer, an Lenz Glashauser, der vor zwei Wochen verstorben ist.
Wir haben ihn in diesem vier Jahren Montagsdemonstration kennen lernen dürfen — unseren „Rentner im Unruhestand”, wie er sich immer vorstellte.
Lenz wurde 84 Jahre alt — und er starb allein zuhause in seiner Junggesellenwohnung. Auf den ersten Blick scheint es so, als wäre mit seinem Lebensende auch seine Spur ausgelöscht — ein Gedanke, der erschreckt. Jede Woche sterben in Köln Menschen im hohen Alter, die keine Angehörigen mehr haben, die niemand beerdigt, die von der Stadt Köln ein unpersönliches Armenbegräbnis bekommen.
Auch Lenz wurde von der Stadt beerdigt. Aber Lenz hat Spuren hinterlassen. Seit Beginn der Montagsdemonstration war er dabei. Fast immer, wenn er da war, meldete er sich am offenen Mikrofon. Viele seiner Beiträge beendete er mit dem Wort von Georg Büchner: Friede den Hütten, Krieg den Palästen — ein Wort, das aus seinem Munde wie die Summe einer langen Lebenserfahrung schien.
Er war trotz seines Alters im „Unruhestand” — er wollte seine Zeit nutzen, und einen Beitrag zur Aufklärung und zur Veränderung der Welt leisten. Das tat er mit Feinsinn und Verschmitzheit — und mit einem wunderbaren Faible für Hintersinn. Unsere Gesellschaftsordnung bezeichnete er z.B. als „Demokratur”. Oft verteilte er Werbematerial für Veranstaltungen, bei dem er fein säuberlich mit Marker Stellen gekennzeichnet hatte, die für sich gelesen einen neuen Sinn ergaben. Besonders gern erinnere ich mich daran, wie er aus einer Reklame sorgfältig Kärtchen ausgeschnitten hatte, auf denen dann zu lesen war: „Die Roten sind mir die Liebsten.” Nicht nur dabei sein, selber aktiv mitwirken, das war sein „Unruhestand”.
Er war über viele Jahrzehnte hinweg ein Mensch, der sich da einbrachte, wo sich Widerstand regte. Ich habe ihn auf vielen Demonstrationen in Köln gesehen, und ich weiß, dass er in den 80er Jahren aktiv beim Widerstand gegen die atomare Bewaffnung auf deutschem Boden beteiligt war.
Im zweiten Weltkrieg war er in Gefangenschaft geraten, und wie viele andere aus seiner Generation herausgefordert, die Erfahrungen mit der Nazi-Diktatur zu verarbeiten. Seine Lehre war, sich für den Sozialismus zu engagieren. 1957 nahm er am Weltjugendtreffen in Moskau teil — das war — ein Jahr nach dem KPD-Verbot in Deutschland- mit Sicherheit ein heikles Unterfangen. Lenz erzählte auch, wie er damals, - er arbeitete als Schlafwagenschaffner auf einer Bahnverbindung in die Schweiz — an der Deutsch-Schweizer Grenze verhaftet wurde. Sie mussten ihn aber laufen lassen, und irgendwie hat er auch geschafft, dorthin zu kommen.
Dass das Antifaschistische Bewusstsein unter der Bevölkerung wach gehalten wird, war ihm ein wichtiges Anliegen. Wir haben ja eine Todesanzeige für ihn im Kölner Stadtanzeiger geschaltet, und daraufhin meldete sich bei mir eine Frau, die Lenz aus der Zeit kannte, als er sich mit anderen dafür einsetzte, dass die Müngersdorfer Radrennbahn nach einem antifaschistischen Radsportler, Albert Richter, umbenannt wurde. (Richter hatte des Öfteren bei Siegerehrungen den Hitlergruß verweigert und wurde 1939 von der Gestapo verhaftet, als er Deutschland verlassen wollte. Anschließend fand man ihn tot in seiner Zelle, wahrscheinlich von der Gestapo ermordet.)
Anders als viele in seiner Generation ist er durch sein langes Leben hindurch nicht in Resignation versunken. Die „Reformen von oben”, die die Zeit nach dem KPD-Verbot prägten, versöhnten ihn jedenfalls nicht mit der von ihm so treffend verspöttelten „Demokratur”. Es muss ihn sicherlich bewegt haben zu verfolgen, wie in der Sowjetunion erst die Bürokratie die Macht über die Arbeiter übernahm, und sie dann — innerlich längst marode — schließlich ganz unterging — und ich weiß nicht, welche Schlussfolgerungen er daraus gezogen hat. Auf jeden Fall hat es nicht dazu geführt, dass er stille wurde. Nach wie vor hat er sich eingebracht, und ist dabei auch kritisch mit seinen früheren Genossen ins Gericht gegangen. Ich kann mich auch noch gut erinnern, dass er in der Montagsdemobewegung sich für die Einheit stark machte, und diejenigen kritisierte, die aus antikommunistischen Vorbehalten gegen die MLPD zuhause blieben.
Er war ein aktiver Mitstreiter hier auf der Montagsdemonstration. Beachtlich finde ich auch, dass er — obwohl selber ein so genannter „Kleinstrentner”, eins von vielen Opfern der massiven Angriffe auf die Lebensverhältnisse — er niemals jammerte. Lenz — so habe ich ihn kennengelernt — vermittelte eine andere Botschaft: Mach Dir ein eigenes Bild. Misch Dich ein. Vertrau auf Deine Kraft — und verlier niemals Deinen Humor und die Lebensfreude.
Ich glaube, wir dürfen dankbar sein, dass er zu uns gehörte.
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