Initiative Montags-Demo Köln

Arbeitslose Schüler — Arge setzen Minderjährige unter Druck

In Freiburg wie auch in anderen Städten werden Kinder von Hartz-Empfängern widerrechtlich als Arbeitslose behandelt und unter Druck gesetzt. Eine Mutter, ein Anwalt und ein Aktivist beziehen dazu Stellung.

Die meisten EmpfänngerInnen von Hartz 4 fühlen sich an der einen oder anderen Stelle von ihren Arbeitsberatern ungerecht behandelt und unter Druck gesetzt oder schikaniert. Und in letzter Zeit häufen sich die Fälle, in denen die zuständigen Stellen, die Argen, offen oder versteckt rechtswidrig dafür sorgen, Armen das Existenzminimum zu verweigern. Eine Form der Schikane ist es, Kindern von Alg2-Empfängerinnen unter Druck zu setzen. Die H4-Empfängerin Ivonne aus Freiburg berichtet :

Mein Sohn ging zu dem Zeitpunkt auf's Gymnasium in die 9. Klasse und hat ein Schreiben bekommen von der Jugendagentur, und es ging darum, dass er als Arbeitsloser aufgefordert worden ist, sich unbdingt persönlich zu melden, damit ihm Hilfe gewährt werden kann, seine Arbeitslosigkeit zu beenden. Es heisst da konkret : Wir möchten in einem persönlichen Beratungsgespräch einen Weg aus der Arbeitslosigkeit finden und sie in ein geeignetes Angebot, zB betriebliche Trainingsmassnahmen, Qualimaßnahme, Nachholen von Schulabschlüssen vermitteln. Ebenso suchen wir Ausbildungsplätzen oder Arbeitsstellen mit Ihnen. Es ist ihr persönliches Erscheinen unbedingt erforderlich. Telefonische Meldung ist nicht ausreichend. Dann eine Liste der ganzen Pflichten, und was passiert bei Verletzung (des Befehls), also Saktionen.

Ein « arbeitsloser » Schüler wird also unter Druck gesetzt, bei der Arbeitsagentur vorzusprechen. Kann aber ein Schüler überhaupt arbeitslos sein ? Wir fragten den freiberuflichen Dozenten für Sozialrecht in Freiburg, Roland Roseno :

Die Behörden scheinen nicht hinreichend zu differenzieren. Nach dem SGB 2 bekommen sehr viele Menschen die arbeitslos sind, Leistungen, d.h. die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Dazu gehören die Schüler, Menschen die zu Hause Angehörige pflegen usw. Es gibt also eine ganze Reihe von Fällen, in denen Anspruch nach Leistung nach dem SGB2 besteht, ohne dass dabei Arbeitslosigkeit vorläge.

Nicht Arbeitsloshilfe-Empfänger sind demenstprechend auch nicht verpflichtet, bei der Agentur vorstellig zu werden.

Man kann im Ergebnis rechtlich sehr klar sagen, die Einladung an einen solchen Schüler ist zu Unrecht ergangen, er muss da nicht hingehen, und wenn er nicht hingeht und daraufhin eine Leistungskürzung kriegt, kann er sich dagegen wehren. Darüberhinaus ist es unanständig - das kann man ruhig mal sagen - Schüler die an sich zur Schule gehen und einen möglichst guten Abschluss erziehlen sollen, dadurch zu behindern, dass man sie also mit Einladungen und mit völlig überflüssigen Bewerbungsbögen und so einem Unsinn überzieht.

Rechtmäßig ist eine solche Vorladung also nicht, aber wer weiß das schon.

Die Mutter : Wir konnten garnicht anrufen, um mal im Vorfeld zu erfragen was auf uns zukommt. Da steht keine Telefonnummer bei diesem Schreiben dabei, dann wurden allgemeine Öffnungszeiten genannt, und zu denen sind wir dann hingegangen.

Ivonnes Sohn, dem « arbeitslosen » Gymnasiasten, wurde dort ein Bewerberbogen vorgelegt, den er ausfüllen sollte. Martin Klaus vom Freiburger runden Tisch zu den Auswirkungen der Hartzgesetze sieht in diesem Vorgehen ein fatales Signal :

Jetzt geht man her und macht Jugendlichen mit 15 Jahren - und wir haben auch Berichte darüber - im Gespräch klar : wenn ihr auf die Schule gehen dürft, dann ist das eine grosse Gnade, wir alle, einschließlich des Sachbearbeiters oder wer da vor einem sitzt, zahlen Steuern für euch. Wir finanzieren euch diese Wohltat dass ihr auf die Schule gehen dürft. Das Signal was an die Jugendlichen ausgesendet wird, ist : guckt am besten so schnell wie möglich, dass ihr irgendwo eine Lehrstelle oder besser noch eine Stelle bekommt, wo ihr arbeitet, dann kostet ihr uns nichts mehr.

Das dies an den Jugendlichen nicht spurlos vorüber geht, kann auch Ivonne bestätigen :

Mein Sohn hat dann das Bedürfnis gehabt etwas an das Amt hinzuschreiben. Er hat mich gefragt : - Mama, darf ich das ? Und ich habs ihm erlaubt. Ich habe einfach auch gespürt, er ist jetzt irgendwo kompromittiert, er ist hilflos, er will sich wehren, er empfindet es als Angriff. Er hat also auf dieses Bewerberdatenblatt geschrieben, dass eine Schulbescheinigung beigelegt wird bis 2011, und hat dazugeschrieben : ich bin nicht arbeitslos, ich bin Schüler. Im Moment bedeutet das für ihn dass er nun endgültig erkennen muss, dass er anders als seine Mitschüler ist, und zwar aus dem Grund, den er überhaupt nicht zu verantworten hat, dass seine Eltern nicht ein Einkommen haben, welches das Existenzminimum deckt.

Der Gesetzeslage nach sollte es reichen, regelmäßig Schulbestätigungen vorzulegen. Die Agentur übt jedoch beständigen Druck aus.

Ivonne :

Von der Jugendagentur wurde mir gegenüber gesagt Schulbescheinigungen, und ihm gegenüber wurde auch von Zeugnissen gesprochen. Ich denke, er hat jetzt einen besonderen Druck dass diese Zeugnisse ok sind.

Roseno hält dies nicht nur juristisch für fragwürdig :

Ich sehe das nicht, dass die Mitwirkungsplichten so weit gehen, dass sie Zeugnisse vorlegen müssen. Ich halte es auch sozialpolitisch für falsch, weil man damit einen Druck aufbaut, der den den ohnehin schon herrschenden eher zu hohen als zu niedrigen Druck in der Schule übersteigern würde.

Aus anderen Städten sind jedoch Fälle bekannt, in denen der Druck noch weitergeht. Wo SchülerInnen als Arbeitslose behandelt werden, werden davon weitere Pflichten abgeleitet, zB an Nachmittagen oder in den Ferien dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen.

Roseno :

Wenn die Behörde anfängt, Schülern Einladungen nach 309, also Vorladungen auszusprechen, dann liegt der Verdacht nahe, dass es Fälle geben kann, in denen die Behörde mit Bezugnahme der Erreichbarkeitsanordnung auch Reisen in den Schulferien nicht genehmigt, oder wenn sie dann doch stattfinden, diese mit Leistungsentzug ahndet. Das müsste man auch mal deutlich sagen, dass dies unstatthaft ist und dass es dafür keine Rechtsgrundlage gibt.

Ivonne zeigt die Erfahrung, dass fehlende Rechtsgrundlagen die Behörden nicht unbedingt abschrecken.

Ivonne :

Das kann auch heute jederzeit in den Ferien sein, dass ein Brief im Briefkasten liegt, und mein Sohn wird vorgeladen. Da leben wir ein bisschen nach dem Prinzip Hoffnung, dass es nicht passiert.

Viel mehr bleibt der Familie auch nicht übrig.

Roseno :

Dass die Behörde die Mitwirkungspflicht massiv überspannt, ist schwierig sich dagegen zu wehren. Es ist auch schwierig, das zu durchschauen, weil das rechtlich nicht so eindeutig geregelt ist. Da gibt es sehr viel unbestimmte Rechtsbegriffe. Um sich da wirklich qualifiziert positionieren zu können, muss man eigentlich Entscheidungen und Fachliteratur kennen, sonst hat man überhaupt keine Chance.

Wie kommt das nun dazu, dass die Behörden ihre Kompetenzen derartig überschreiten ? Ist es Inkompetenz oder Böswilligkeit ? Martin Klaus vom « runden Tisch » sieht darin ein Grundprinzip von Hartz 4 :

Die Gesetzgebung wurde in erster Linie angelegt, um Druck auszuüben. Und dieser Druck bezieht sich, wie sich leider immer mehr herausstellt, in erster Linie darauf, es darf alles kein Geld mehr kosten.

Tatsächlich gibt es offene politische Vorgaben aus Bund, Ländern und Kommunen, wieviel beim Alg2 einzusparen ist.

Martin Klaus :

Es gibt Quoten, Abweisungsquoten die erreicht werden sollen, die dann einen « Erfolg » für die Arge darstellen, wenn man also möglichst viele Anträge, die auf Erhalt von Alg2 gestellt werden, abweisen kann.

So hat erst kürzlich das Bundesarbeitsministerium für 2008 Einsparungen beim Alg2 von 8% eingefordert. Minister Olaf Scholz drohte sogar schon damit, andernfalls den Finanzierungsanteil des Bundes zu sperren. Juristisch sind diese Vorgaben unhaltbar, wie der Sozialrechtler Roland Roseno klarmacht :

In Freiburg ging es vor einiger Zeit durch die Presse, dass die freiburger Arbeitsgemeinschaft die Vorgabe bekommen hat, im Jahr 2008 oder 2007, ich weiss nicht mehr so genau, 2 oder 3 Prozent einzusparen. Wenn man die Rechtslage kennt, dann erscheint einem es extrem eigentümlich, dass so etwas überhaupt öffentlich gemacht wird, denn die Rechtslage ist ja so : es gibt Rechtsansprüche. Die Behörde hat den klaren Auftrag, diese Ansprüche zu realisieren. Das heisst also, die Leistungen zu bewilligen und auszuzahlen. Diese Anspruchvoraussetzungen entziehen sich vollständig dem Einfluss durch die Sozialleistungsbehörde, die Grundsicherheitsleistungen zu gewähren hat. Die Anspruchsvorraussetzungen ergeben sich aus Bedürftigkeit und Arbeitslosigkeit oder Armut, oder wie auch immer man das formulieren mag. Die Anspruchsvorraussetzungen entstehen durch gesellschaftliche Entwicklungen, Veränderungen, Bewegungen. Wenn nun eine Sozialleistungsbehörde den Auftrag bekommt, einen bestimmten Betrag einzusparen, dann ist das aus juristischer Perspektive schlichter Unfug. Man kann bösartig sein und sagen, man kann es auch interpretieren als offene Aufforderung zum Rechtsbruch, weil ja die Behörde überhaupt keinen Einfluss darauf hat, in wieweit Anspruchvorraussetzungen bestehen.

Nichtsdestoweniger bemühen sich die Behörden diese Vorgaben zu erfüllen.

Roseno :

Spätestens ab einer bestimmten Stufe der Hierarchie haben die Leute die da sind, auch ein Interesse, in der Hierarchie weiter zu steigen, und ich stelle mir vor, dass die sich dann eben bemühen, Vorgaben umzusetzen, in ihrem eigenen Interesse.

Darüber hinaus sind sich die Mitarbeiter der Behörden oft selbst nicht im Klaren wo sie ihre Befugnisse überschreiten. Roseno beruft sich hier auf den renommierten Sozialrechtler Harry Fuchs :

Harry Fuchs beschreibt die Situation in den Verwaltungen so, er sagt, es wird die Anwendung des geltenden Rechtes verweigert, und zwar auf dem Wege der systematisch erzeugten Inkompetenz in den Behörden.

Denn welcher Sachbearbeiter kann schon ahnen, dass Bundesarbeitsminister Olaf Scholz zum Rechtsbruch auffordert. Stellt sich also die Frage, wie sich die Betroffenen gegen solche Zumutungen wehren können.

Roseno :

Es gibt jedenfalls keine Möglichkeit gegen eine Behörde durchzusetzen, dass sie geltendes Recht im Grossen und Ganzen anwendet. Selbst wenn man es der Behörde nachweisen könnte, dass hier gezielt Recht nicht angewandt worden ist, gibt es dafür nicht den Straftatbescheid. Man kann eine Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen, die ist dann fristlos, formlos und fruchtlos. Das hilft auch niemandem.

Was bleibt, ist im Einzelnen Widerspruch einzulegen.

Roseno :

Im Ergebnis wird es wohl so sein, dass die, die sich wehren, Recht bekommen, weil sie ganz offensichtlich Recht haben, und die, die sich nicht wehren, haben dann halt die unangenehmen Folgen.

Unabdingbar ist es daher, sich politisch zur Wehr zu setzen. Der erste Schritt, um politischen Druck aufbauen zu können, ist der Weg in die Öffentlichkeit.

Mutter :

Ich habe jetzt diese Art gewählt mit diesem Thema « langzeitarbeitslose Schüler » in die Öffentlichkeit zu gehen weil ich denke, da sind einfach Informationen an die Öffentlichkeit notwendig, wie hier mit unseren Kindern umgegangen wird.

Quelle : Mittagsmagazin Radio Dreyeckland, Freiburg 102,3 MHz, 30.5.2008

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